Response und die Folgen
(Artikel für die NMZ 2007)
Response und die Folgen
Die Konzertpädagogik boomt – kein Zweifel. Noch ist schwer erkennbar, ob diese Pisa-Trutzburg zu orientierungslosem Übereifer neigt oder einen gesunden Weg geht. Die Kritiker stehen jedoch bereits in den Startlöchern angesichts sickernder Informationen, dass Budgets schnell noch aufgebraucht werden müssen und die Schulen unter einem Überangebot zu ächzen beginnen. Aus der inzwischen schwer überschaubaren Fülle von Aktivitäten und Entwicklungen ragt mit „Response“ immer noch ein inhaltlich starkes, vielfach erprobtes und historisch allemal bedeutsames Konzept heraus. Der Zeitpunkt scheint gut gewählt, sich einmal zu besinnen.
Anfänge
Das erste deutsche Response-Projekt fand im Jahr 1988 in Berlin statt, damals auf Initiative des British Council und einiger Musiker und Manager aus dem Umfeld der Neuen Musik. Man vertraute auf die Potentiale eines englischen Konzepts, entwickelt von der schon seit langem professionell arbeitenden Education-Abteilung der London Sinfonietta, eines Anfang der 70er Jahre gegründeten Ensembles für Neue Musik. Die Geburtsstunde dieser von Gillian Moore geleiteten Einrichtung geht auf Gespräche von Michael Vyner mit der „Inner London Education authority“ zurück, die den Anspruch formulierte, die hoch subventionierte klassische Musikkultur für weniger privilegierte Menschen nutzbar zu machen – Ausdruck geistig-sozialen Gerechtigkeitsgedanken der 70er Jahre, die jedoch an Aktualität kaum eingebüßt haben. Maßgebliche konzeptionelle Arbeit wurde auch von Richard McNicol geleistet, der unter anderem für das London-Sinfony-Ochestra arbeitete. Es wurde in London selbstverständlich, dass Konzerte von Jugend- und Kinderprojekten begleitet wurden und man ging bewusst unkonventionelle Wege und bemühte sich, keine frontale, belehrende Pädagogik zu betreiben, sondern echte Partizipation und damit tiefe emotionale Erlebnisse zu ermöglichen. Die Anforderung, dass jedes Kind während seiner schulischen Laufbahn neben lesen, schreiben, rechnen auch lernen müsse zu komponieren, wurde im National Curriculum festgeschrieben.
Response: Fragen beantworten – Verantwortung übernehmen
Response ermöglicht den Kindern, eigene Antworten zum Beispiel auf kompositorische Fragen zu geben: Wie kann ich Krieg mit musikalischen Mitteln darstellen, wie lässt sich mediale Zuspielung von Ton oder Film in ein Werk einbauen (Mittelstufe), wie kann die Architektur und Atmosphäre einer Stadt hörbar gemacht werden (Oberstufe) oder wie lässt sich ein japanisches Minigedicht mit Klang untermalen (Grundschule). Diese Fragen, die sich genauso die Komponisten zu Beginn der Erfindung ihrer Werke gestellt haben, werden von den Schülern gelöst und sie werden so zu Experten, die später mit tiefem Verständnis und großer emotionaler Anteilnahme die „klassisch“ gewordenen Werke der erfahrenen Meister hören und voller Staunen die eigene und die fremde Genialität erkennen, weit jenseits eines oberflächlichen Urteils. Neben „Antwort“ hat der Begriff „Response“ zudem die Konnotation Responsability = Verantwortung gegenüber den Mitspielern, den Hörern und der Kultur.
Richard McNicol verwies immer wieder auf die Logik und Natürlichkeit dieser Pädagogik, die die Kreativität der Kinder und ihre Fähigkeiten ernst nimmt und von dieser Prämisse konsequent ausgeht. Häufig wurde Musik unterrichtet, argumentiert McNicol, indem die Schüler etwas über das Leben von Beethoven erfuhren und dann seine Sinfonien vorgespielt bekamen. Musik muss aber unterrichtet werden wie Fußball: Indem man es tut. Ein Sportlehrer würde für verrückt erklärt werden, wenn er den Schülern die Mechanik des Beins beim Schießen eines Balls erklärte um dann auf den Fußballplatz zu gehen und anderen beim Spielen zuzuschauen.
Response90 in Frankfurt
Als im Jahr 1990 das Ensemble Modern in Frankfurt sein 10-jähriges Bestehen feierte, und im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten zur 750-Jahr-Feier der Stadt eine gute Finanzierung zur Verfügung stand, konzipierten Dr. Dieter Rexroth und Karsten Witt ein sehr ambitioniertes Projekt, bei dem über einen Zeitraum von 9 Monaten 16 Frankfurter Schulklassen aller Altersstufen auf ein großes Abschlussfestival in der Alten Oper hinarbeiteten. Den Meisterwerken der Neuen Musik, die beim Festival erklingen sollten, wurden die Aufgabenstellungen für die Kompositionsarbeiten der Schüler entnommen. Anläßlich eines Lehrerworkshops wurde den Multiplikatoren des Projektes die Scheu vor dem „heiligen“ Akt der Erfindung von Musik und auch vor der Neuen Musik genommen. Die besten Ergebnisse erzielten schon in dieser Phase die vermeintlich unmusikalischen Lehrer. Nun folgten monatliche Besuche in den Schulen, bei denen jeweils ein Dozent mit einem oder mehreren Musikern des Ensemble Modern Übungen zeigte, professionell Musik im Klassenzimmer spielte und die Arbeiten der Schüler anhörte und würdigte. In drei Phasen, die jeweils einen Abschluss in einem kleinen Vor-Festival fanden, einem Treffen der beteiligten Schüler, Lehrer, Musiker und Dozenten, näherte man sich der großen letzten Aufgabe: Werke für das Festival selbst zu schreiben, aufzuführen unter anderem in der Alten Oper, im Großen Saal, mit über 2000 Plätzen.
Fortführungen
Das Projekt wurde ein großer Erfolg und es gab Absichtserklärungen, Response fortzuführen, zu finanzieren und sogar zum festen Bestandteil der Frankfurt Feste zu machen. Neben vielen Response-Projekten in Rheinland-Pfalz, Düsseldorf, Bremen, Hamburg und am Bodensee ist die Entstehung des Büro für Konzertpädagogik in Köln ein wichtiger Meilenstein. Das Büro wurde 1998 durch die Komponisten Bernhard König und Hans W. Koch, sowie die Pädagogin Anke Eberwein gegründet und wuchs mit einer Reihe von Response-Projekten in diese Arbeit hinein und entwickelten sie weiter, indem nicht mehr „nur“ fertige Werke der zeitgenössischen Musik thematisiert wurden, sondern übergeordnete Themen wie „Stimme“, „Ritual“ oder „Macht“ den Rahmen größer steckten. Heute ist das Büro für Konzertpädagogik eine der profiliertesten und konzeptionsstärksten Ansprechpartner auf dem Gebiet der neuen Musikpädagogik in Deutschland und arbeitet nach wie vor ohne strukturelle Subventionen am „Markt“ und mit verschiedenen Partnern zusammen. Zur weiteren Lektüre empfehle ich insbesondere den Text „Response – quo vadis“ von Prof. Dr. Claudia Meyer aus dem Jahre 2003, der ein genaues inhaltliches Resumée zieht und die Kölner Weiterentwicklung würdigt.
Ein nutzvoller Paukenschlag
Durch die Arbeit von Simon Rattle in Berlin, der den oben genannten Richard McNicol mit der Konzeption der Education-Arbeit der Berliner Philharmoniker beauftragte, wurde 2001 eine breite Öffentlichkeit und damit auch die Köpfe der Kulturgeld verteilenden Institutionen auf diese Art von partizipatorischer Kunstpädagogik aufmerksam. Es gelang ein medialer Geniestreich: Ein brilliantes Orchster, ein brilliantes Stück Musik, ein stark sozialer Ansatz mit einem charismatischen Tanzpädagogen und vor allem eine konsequente und professionelle mediale Verwertung: Rythm is it – Die Berliner Bronx tanzt Strawinskys Sacre du Printemps, begleitet von Weltstars der klassischen Musik. Dieses Frühlingsopfer veränderte einiges. Aber das Licht erzeugte auch Schatten: Der Schwindel erregend finanziell ausgestatteten Institution möglichst viele erste Preise zu verleihen, ist unnötig, ärgerlich und sogar schädlich, da es die Arbeit der vielen „Kleinen“ automatisch diskreditiert.
Wünsche
Es bleibt zu hoffen, dass der Wert einer häufig in freier Unternehmerschaft entwickelte Expertise nicht nur anerkannt, sondern auch adäquat bezahlt wird. Geld wird inzwischen zu Verfügung gestellt, häufig aber nicht für diese Art von innovativer Pädagogik, sondern für herkömmliche Projekte herkömmlicher Institutionen mit herkömmlichen, meist quantitativen Zielen: Der Saal muss voll werden. Heute, wo Kinder-Kunst-Projekte, und seien sie noch so frontal, jeder Kritik entzogen sind und sich gegenseitig Konkurrenz machen, indem sie sich um eine immer kleiner werdende Zielgruppe rangeln, ist konsequentes Qualitätsmanagement gefragt. Auch müssen sich die Protagonisten der Response-Idee trauen, ihre Überzeugungen weiter zu geben und vehement zu vertreten. Und die Visionäre unter ihnen dürfen schon einmal beginnen, die nächste Zielgruppe ins Auge zu fassen: Die Senioren. Denn das „Senile“ ist dem „Infantilen“ sehr nah und wenn wir auf den Umgang unserer gesellschaftlichen Systeme mit diesem Massenphänomen schauen, liegt die nächste große Aufgabe direkt vor uns.
Am Anfang von Response stand die Gleichstellung von Komponieren mit Lesen – Schreiben - Rechnen. Es kann so einfach sein. - Warum hat jedes Orchester einen professionellen Notenwart, aber nur wenige einen Education-Manager? Werden auch in der Elbphilharmonie die Hostessen besser bezahlt werden, als die Musikpädagogen? – Sicher nicht, denn es tut sich etwas.
Christian Zech, Hamburg/Stuttgart, Musiker, Kulturmanager und Berater, Organisatorischer Leiter Response90, Gründer mehrerer Vereine und Agenturen, Studien und Recherchen, seit 2006 Kooperation mit dem Büro für Konzertpädagogik in Köln, Entwicklung und Finanzierung eigener pädagogischer Projekte.