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Change (Wacholderhof)

Veränderungen (April 2012)

Einige Gedanken (ich pirsche mich an...): Obwohl kein Freund unnützer Anglizismen begegnet mir doch das Wort "Change" immer wieder und beschäftigt mich, vielleicht weil es so hübsch prägnant und kompakt ist und meinem Vornamen so ähnlich sieht. Im deutschen Wort klingt "Anders" durch, was wir gern mit "Fremd" assoziieren, etwas unangenehm.

Wir haben das Wort "Change" alle noch im Gedächtnis: Ein neuer Präsident, weit weg vom Wacholderhof, hinter dem großen Wasser, versprach viel, schaffte mit dem Slogan manche Wende und änderte die Welt doch nicht so schnell, wie es sich mancher gewünscht hätte. Auch der Wacholderhof hat viele Veränderungen erfahren, nicht erst in jüngster Zeit. Aber es kam schon "dicke" im letzten Jahr. Und noch etwas fällt mir zu dem Wort ein: Es gibt eine relativ junge Wissenschaft, vielleicht eher eine "Methode" mit dem Namen "Change-Management". Sie beschreibt vornehmlich die Möglichkeiten, alte "verknöchte" Systeme, Organisationen und Firmen aufzubrechen und ihnen zu einer neuen Dynamik zu verhelfen. So etwas haben wir auf dem Hof nicht: Verknöcherung. Es sind eher immer wieder klaffende Lücken, die uns zu Veränderungen und Anpassungen zwingen: Zeit, Kraft, Geld, Raum, Energie, Wasser ... das gesunde Leben ist eben kein Überfluss, sondern immer wieder auch Mangel. Angesichts solcher Gegebenheiten muss man klare Regeln finden, feste Überzeugungen und Praktiken. Und die können dann schon einmal starr sein oder werden. Also ist es vielleicht doch ganz nützlich, sich einmal über die aktive Gestaltung von Veränderungen Gedanken zu machen.

David merkte nach 20 Jahren Ackern und Rackern, dass er noch einmal eine Perspektive brauchte, dass es für ihn nicht einfach ewig so weiter gehen konnte. Er wollte eine Lehre als Koch beginnen, noch einmal etwas wagen. Nicht nur wie ein "Opfer" gegen den Mangel an arbeiten, sondern weiter den Weg der Veredelung gehen. Den ersten Schritt hatte er mit dem Aufbau der Rinderherde gemacht: Besondere, bedrohte Tiere züchten, wenn auch vielleicht mit dem leichten Unbehagen, dass Fleisch ein Luxus-Gut ist, gezielte "Fleisch-Produktion" angesichts von steigendem Hunger in der Welt problematisch zu sein scheint. Gesundes Fleisch jedoch ist kein simpler Luxus-Artikel, sondern etwas revolutionär Besonderes in einer Welt von Billig-Fleisch-Bergen. Nun also - nachdem die Welt der Köche unseren "Ideal-Bauern" David im wahrsten Sinne zum Kotzen fand (die Geschichte eignet sich aber eher mal für's Lagerfeuer!) - ein weiterer konsequenter Schritt von David: Vermarktung über den Teller, durch die eigene Pfanne. David hatte mir wohl als einem der ersten seinen Wunsch gesagt und ich habe ihn sofort bestärkt, zwar nicht ahnend, was ich mir damit einbrocke, aber ich bereue nichts!

Der Vorstand musste also neue Bauern suchen. Ich mache es kurz: Mehrere Monate Suche. Zig Bewerbungen sichten, Termine machen, Hofführungen neben dem Tagesgeschäft für David - puh! - und dann - Heureka - ein neues junges Paar. Im März zogen sie ein, im September waren sie "durch". Menschliche Konflikte standen folgerichtig am Ende letztlich doch primär inhaltlicher Auseinandersetzungen, die niemand hatte kommen sehen oder thematisieren wollen. - Change.

In solch einem Jahr der Neuanfänge, des Zweifelns, der Umbrüche macht man keine großen Experimente, sondern konzentriert sich erst einmal auf das, was funktioniert, man besinnt sich der Substanz. Das war gut so. Es ist nichts großartiges passiert in der Pädagogik. Es gab zufriedene Kunden und solche, die mit dem "rustikalen Charme" nicht so gut zurecht kamen. Nichts besonderes. Das Aufkommen lag etwas niedriger, aber damit hatten wir gerechnet. Es war für mich ein ruheloses Jahr mit vielen kleinen Einsätzen, viel gefühlter und tatsächlicher Überforderung für Chrissy Pohl, für die FÖJ-ler, für manchen unserer Pädagogen. An diesen Veränderungen hätte man etwas verändern müssen. Aber es gab einen Schnitt: Die neuen Bauern kündigten. Wir danken ihnen aber zutiefst, dass sie sich auf dieses Experiment eingelassen haben. Wir wussten alle, dass wir auch eine Chance haben, zu scheitern. Hinfallen ist keine Schande, nur liegen bleiben!

Um die Geschichte schnell zu Ende zu erzählen: Ein guter Wind trug uns eine ehemaligen Bewerberin zu, während David merkte, dass er nicht gut vom Hof und seinen Tieren lassen kann und auch nicht bei angeblich berühmten Bio-Köchen Gemüse putzen muss, um zu lernen, was er schon besser kann, als mancher Sterne-Koch. Er kehrte als Bauer zurück, sagen wir vielleicht eher als Züchter, als Seele des Hofes. Brigitte Bader ist die neue Seele des Hauses. Ihre Management-Erfahrung schließt eine Lücke auf ideale Weise. Sie bringt als Biologin, Krankenschwester, Clown, Stadtteilbauernhof-Initiatorin etc. etc. einen bunten Strauß an Qualifikationen mit, die dem Hof gut tun und zu ihm passen. Ein Glücksfall.

Aber noch mal einen Schritt zurück: Change - Veränderung. Machen wir einfach aus unserer Not eine Tugend und denken bei unseren ständig nötigen Veränderungen darüber nach, wo wir uns gleichzeitig flexibilisieren, motivieren und dynamisieren können, wie es die Methodik des Change-Mangement lehrt. Eine lustige, heilsame Übung ist hier das "Kultivieren von Fehlern". Eine simple Frage bringt uns auf die Spur: Was muss ich machen, um Veränderungen auf dem Hof zu verhindern? Was muss ich tun, um andere daran zu hindern, sich zurecht zu finden, oder sich sinnvoll einzubringen? Wie kann ich verhindern, dass sich jemand wohl fühlt oder offen kommuniziert?